Samstag, 7. September 2013

Wagenbach - etabliert und unabhängig

Aber sind unabhängige Verlage immer hip und neu und jung? Und müssen sie das auch sein, um eine Gegenöffentlichkeit herzustellen, eine etwas andere Öffentlichkeit anzusprechen?


Dies lässt sich leicht an einem Gegenbeispiel entkräften: der Wagenbach Verlag. Ein Verlag,der mittlerweile zum Establishment gehört, der seit Jahren etabliert ist und eine feste Fangemeinde sein Eigen nennen kann. Seit 1964 hat er es geschafft, eigenständig zu bleiben und damit die Unabhängigkeit wenn nicht vom Markt, so doch zumindest von großen Konzernverlagen zu wahren.
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Wagenbach arbeitet aber mit grundsätzlich anderen Kommunikationsstrategien und verfolgt auch inhaltlich andere Ziele als der im letzten Post vorgestellte Unsichtbar-Verlag. Schließlich ist man etabliert, da muss man nicht mehr so auf dem Putz hauen, um mediale Aufmerksamkeit zu erreichen.
Die einzige Gemeinsamkeit, die zwischen Wagenbach und dem Unsichtbar Verlag besteht, ist dass sie beide unabhängig sind und diese Unabhängigkeit kommunikativ und medial transportieren, sie also konkret dazu einsetzen, um ihr Image zu kreieren.
Wagenbach nennt sich „Der unabhängige Verlag für wilde Leser“, schon damit soll ein bestimmtes Publikum angesprochen werden, und zwar nicht die bestsellerverrückte Meute, sondern ein kleineres, ausgewähltes Publikum das, man kann das schon für die meisten Bücher des Verlagsprogramms so sagen, eine Art Bildungselite darstellt. Seit Neuestem gibt es auch im Wagenbachprogramm leichtere Literatur mit Bestseller-Charakter wie beispielsweise Bennetts „Die souveräne Leserin“. Trotzdem positioniert sich der Verlag im Gegensatz zur Wegwerf-Mentalität großer Konzernverlage, die ihr Programm nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zusammenstellen und die Bücher sofort verramschen, wenn sie sich nicht wie gewünscht verkaufen. Außerdem auch dagegen, dass sich Bestseller eine kurze Zeit sehr gut verkaufen, und danach in Vergessenheit geraten, also äußerst selten von literarischer Qualität bestimmt sind und so gut wie nie in den literarischen Kanon der Jetztzeit aufgenommen werden, falls es so etwas gibt.1
Inwiefern dies tatsächlich auf das Programm von Wagenbach zutrifft, mag jeder selbst entscheiden, aber insgesamt macht das Programm doch den Eindruck, dass man das Credo Kurt Wolffs, mit dem man auf der Homepage wirbt: » Man verlegt entweder Bücher, von denen man meint, die Leute sollen sie lesen, oder Bücher, von denen man meint, die Leute wollen sie lesen. Verleger der zweiten Kategorie, das heißt Verleger, die dem Publikums-geschmack dienerisch nachlaufen, zählen für uns nicht - nicht wahr?«beherzigt.
Aber auch hier muss man wohl oder übel auf wirtschaftliche Gesichtspunkte Rücksicht nehmen und mit einer Mischkalkulation arbeiten, das heißt dass einige wenige verkaufsstarke Spitzentitel, die die anderen, weniger verkaufbaren gewissermaßen mittragen.
Wagenbach kommuniziert auf seiner Homepage klar, dass man Bücher macht, weil man sie machen will, Bücher, die bleiben. Man will sich eben nicht nach dem „gemeinen“ Publikumsgeschmack richten.
Bleibt zu beantworten, ob die angesprochene Elite schon allein eine Alternativöffentlichkeit darstellt oder ob es sich nicht eher einfach um eine klare Zielgruppenbestimmung handelt. Der Bergriff der Alternativöffentlichkeit ist jedoch schwer zu bestimmten, darunter ist vor allem zu verstehen, dass andere, eben alternative Inhalte im Vergleich zu den sogenannten Mainstream-Medien verbreitet werden und auch andere Ziele, eben nicht das primäre Ziel des ökonomischen Erfolgs, im Mittelpunkt stehen. Auch kann man darunter auch alternative Vertriebswege verstehen, also nicht die klassische Verbreitung der Bücher über den Buchhandel, will heißen erst über Zwischenbuchhandel (ein Zweig, bei dem es in Deutschland mittlerweile nur noch zwei namhafte Konkurrenten gibt) und dann den stationären Buchhandel (auch hier ist ein immenser Konzentrationsprozess zu verzeichnen)3
Letztlich lässt sich diese Frage schwerlich direkt beantworten. Als alternativer Vertriebsweg ließe sich höchstens die „Zwiebel“ bezeichnen, eine Art Almanach des Verlags, in dem Auszüge aus Büchern publiziert werden.4
Leichter wird es, wenn man sich mit Wagenbachs Geschichte beschäftigt, denn hier ist sowohl politisch als auch programmatisch eine klare Tendenz zu erkennen. 1968 zum Beispiel, wie wir wissen eine Zeit des politischen Aufruhrs, erschienen die „Rotbücher“ bei Wagenbach, die als theoretische Texte der Neuen Linken bezeichnet werden können. Außerdem erschien das Lesebuch „Deutsche Literatur der sechziger Jahre“ für das Wagenbach auf der Homepage selbst den Begriff „Gegeninformation“ verwendet. Insgesamt gilt hinsichtlich das Programms der 1970er Jahre, dass es eine klare politische Richtung aufweist, und insofern eine Alternative zu großen, wirtschaftlich orientierten Verlagen bietet. In dieser Zeit, in der sich am ehesten das entwickelt, was man als Alternativöffentlichkeit bezeichnen könnte, konnte Wagenbach durch seine Publikationen sicherlich einen kleinen Beitrag leisten. Ab den 1980er Jahren öffnete sich das Programm, wurde allgemeiner und sprach deshalb ein anderes, größeres Publikum an. Wagenbach könnte heute nicht mehr als revolutionärer Verlag bezeichnet werde. Man bleibt aber dabei, sich selbst einen „Meinungsverlag“5 zu nennen.6


Letztlich lässt sich sagen, dass Wagenbach sich mittels seiner Selbstdarstellung absolut als Beitragender zu einer Alternativöffentlichkeit stilisiert und dass dies bis in die 1970er auch durch das Programm als teilweise gerechtfertigt bezeichnet werden kann. Inwiefern dies für heute noch als gültig zu bezeichnen ist, soll jeder für sich selbst entscheiden.


1http://www.wagenbach.de/der-verlag.html, Zugriff am 10.8.2013
2ebd.
3Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth/Schulz, Winfried/Wilke, Jürgen (Hg.): Fischer Lexikon. Publizistik. Massenkommunikation. Frankfurt am Main 2009. S. 494.
4Vgl. http://www.wagenbach.de/der-verlag/an-die-leser.html
5ebd.
6Vgl. ebd.

Literaurliste
Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth/Schulz, Winfried/Wilke, Jürgen (Hg.): Fischer Lexikon. Publizistik. Massenkommunikation. Frankfurt am Main 2009

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